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„Das Verschiedensein ist nicht das Problem“

Rund 300 Teilnehmende verfolgten in Präsenz oder via Livestream die 25. Fachtagung der Fachschule für Sozialwesen.
Launig, aber auch kontrovers diskutierten auf dem Podium Dr. Sophia Falkenstörfer, Martin Herrlich, Raúl Krauthausen, Simone Fischer und Jörg Huber (v. l.).

Mosbach. Auf das Ausrufezeichen machten gleich mehrere der Referentinnen und Referenten aufmerksam: „Inklusion und Partizipation gelingen!“ Unter diesem Titel fand in der Johanneskirche Mosbach die Fachtagung der Fachschule für Sozialwesen statt. Die Fachschule mit Sitz in Neckarbischofsheim gehört zur Bildungs-Akademie der Johannes-Diakonie und feierte mit der 25. Ausgabe der Fachtagung ein Jubiläum. Bei der Traditionsveranstaltung treten Expertinnen und Experten der Behindertenhilfe in den fachlichen Austausch miteinander und mit dem Publikum. Zum Jubiläum hatte das Organisationsteam um Schulleiterin Birgit Thoma und Fachschul-Dozent Stephan Friebe mit Inklusion und Teilhabe bewusst ein Leitmotiv aller Fachtagungen in den Fokus genommen. Das Interesse beim Publikum war enorm: Rund 300 Teilnehmende wollten dabei sein, online oder in Präsenz.

Als Schirmherrin eröffnete Simone Fischer, Landesbeauftragte für die Belange von Menschen mit Behinderung, die Tagung. Sie machte deutlich, dass nur die Beteiligung von Menschen mit Behinderung echte Inklusion schafft. Gerade nach dem Stillstand der Corona-Pandemie brauche es einen neuen Anlauf zum Abbau von Barrieren. Als Vorstand der Johannes-Diakonie warf Jörg Huber einen Blick zurück, hob Fortschritte beim Thema Inklusion hervor und nannte als Meilensteine wichtige Regelwerke wie die UN-Behindertenrechtskonvention. Auch die Johannes-Diakonie habe die Herausforderung angenommen und etwa Orte der Begegnung von Menschen mit und ohne Behinderung geschaffen. Doch sei Inklusion ein langfristiger Prozess, der kontinuierliche Arbeit fordere.

Zum Jubiläum blickte Stephan Friebe auf vergangene Fachtagungen zurück. „Unser Anliegen war immer, Menschen mit Beeinträchtigung in den Mittelpunkt zu stellen“, bilanzierte er. Zugleich sollten die Fachtagungen „Impulsgeber“ für die Fachschule und andere Akteure der Behindertenhilfe sein. Hinsichtlich der Inklusion sieht Friebe viele positive Entwicklungen, aber auch eine „Diskrepanz zwischen dem, was wir an der Schule lehren, und dem, was unseren Auszubildenden in deren Alltag oft begegnet“.

Experten und Expertinnen aus Wissenschaft und Lehre begeisterten in Vorträgen mit einer Mischung aus Theorie und Eindrücken aus der Praxis. Professor Dr. Wolfgang Hinte analysierte den Begriff der Sozialraumorientierung kritisch. Das Problem aus seiner Sicht: „Alle finden Sozialraumorientierung gut, aber jeder versteht etwas Anderes darunter.“ Dr. Reinhard Stähling konzentrierte als früherer Leiter der Gemeinschaftsschule Berg Fidel in Münster den Blick auf die Schulen. Seine Erfahrungen mit dem Thema Inklusion fasste er in Grundsätzen für inklusives Schulleben zusammen, zu denen kleine Klassen, Lernen ohne Noten, aber auch Gemeinschaft und Solidarität gehören. Die Professorin Dr. Sophia Falkenstörfer, Universität Würzburg, sprach bei der Fachtagung über einen „Personenkreis, der oft in Vergessenheit gerät“: Menschen mit komplexen Behinderungen, die häufig intensiver Pflege bedürfen und eigene Bedürfnisse schwer deutlich machen können.

Provokativ und mit deutlicher Kritik am System der Behindertenhilfe brachte sich der Aktivist Raúl Krauthausen ein, Gründer des Vereins „Sozialhelden“ und selbst Mensch mit Behinderung. Mit persönlichen Erlebnissen machte er deutlich, wo Menschen mit Behinderung auf Barrieren stoßen. Und mit welchen Scheinargumenten ihren Wünschen und Lebensentwürfen (vor allem von behördlicher Seite) oft begegnet wird. Dagegen stellte er den Titel seines Vortrages: „Einfach mal machen!“ Heftig kritisierte Krauthausen, dass viel zu oft nichtbehinderte Menschen über das Schicksal von behinderten Menschen entschieden – und bekam viel Applaus.

Doch der Aktivist eckte auch an. Das machte unter anderem die Podiumsdiskussion deutlich, zu der ein Teil der Vortragenden unter Moderation von Martin Herrlich, Leiter der Evangelischen Fachschule in Schwäbisch Hall, zusammenkam. Sophia Falkenstörfer wies etwa darauf hin, dass Menschen mit komplexen Behinderungen bei allen Forderungen nach mehr Selbstbestimmung viel Unterstützung im Alltag benötigen, vor allem von nichtbehinderten Menschen. Auch Krauthausens Kritik am System der Werkstätten stieß auf Widerspruch. Einig war sich die Runde in grundlegenden Forderungen für mehr Inklusion: gemeinschaftlicher Unterricht an Schulen, mehr Beteiligung an der eigenen Zukunftsplanung für Menschen mit Behinderung, weniger bürokratische Hürden, etwa bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes, dessen bisherige Wirkung etwa Jörg Huber als enttäuschend bezeichnete.

Wie mehr Inklusion gelingen kann, macht das Projekt „Inklusive Bildung Baden-Württemberg“ deutlich. In Zusammenwirken von Hochschulen und Johannes-Diakonie waren dabei von 2017 bis 2020 sechs Menschen mit Behinderung zu Bildungsfachkräften qualifiziert worden. Seit 2020 arbeiten sie an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg in der Lehre. Bei der Fachtagung berichteten zwei von ihnen, Hartmut Kabelitz und Thilo Krahnke, sowie Professorin Dr. Karin Terfloth von den seitherigen Erfahrungen. Ihr gemeinsames Fazit lautete: „Das Verschiedensein ist nicht das Problem, sondern dass wir keine gleichen Chancen haben.“

Weitere Informationen und Bilder von der 25. Fachtagung gibt es unter www.fachschule-neckarbischofsheim.de/fachtagung.

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